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Was ist der improvisatorische Teil der Contact Improvisation?

Bei der Contact Improvisation steht oftmas die Wahrnehmung im Vordergrund, das Wohlfühlen, der Dialog oder auch die Technik. Doch wo kommt das gestalterische Moment der Improvisation zum Tragen?

Ein Vorgedanke

Dieser Text ist aus einem Wunsch nach Klärung entstanden. Am Anfang stand eine Wahrnehmung oder gefühlte Wahrheit, die sich im Lauf des Schreibens verdichtet und differenziert hat. Ein schöner Prozess, den ich teilenswert finde. Daher steht das Nichtwissen am Anfang dieses Textes und die suchende Bewegung des Schreibens bleibt erhalten, auch wenn ich es ja im Nachhinein leicht hätte ändern können um meine Thesen logischer und zielstrebiger zu untermauen. So denn …

Was ist der improvisatorische Teil der Contact Improvisation?

Schon der Name Contact Improvisation lässt vermuten, dass Improvisation ein integraler Bestandteil dieser Tanzform ist. Anfänger erinnern uns an das Potential des Improvisierens. Sie sind mit der Herausforderung konfrontiert sich ständig im Neuen zu bewegen. Die Lebendigkeit der Improvisation wird in glücklicher Frische abgeschöpft oder dem Überleben müssen abgetrotzt. Mit zunehmender Praxis jedoch gibt es immer mehr sich wiederholende Standardsituationen. In meiner langjährigen Praxis erscheint es mir als eine wesentliche Disziplin in jeder Wiederholung lebendig zu sein. Das improvisatorische Moment erscheint zu großen Teilen in der Wahl, wie vertraute Bewegungen aneinandergereiht werden. Nicht das Neue ist der zentrale Kern der Improvisation, sondern das präsente Entscheiden im Vertrauten. Wie dem auch sei, ob neu oder vertraut, es gibt für mich ein spezielles Gefühl von ‘Jetzt improvisiere ich!’ und es ist – wie mir scheint – an die Anwesenheit von Zuschauenden gebunden. ‘Wie mir scheint’ meint: Ich habe so eine Ahnung, eine unreflektierte Vermutung.

Wie sähe also das Gegenteil dazu aus. Keine Zuschauenden, keine performative Haltung, nur der Tanz an sich. Gibt es eine selbstgenügsame Improvisation? Ich denke an Tänze, in denen ich mich verliere, die mich wohlig einlullen, deren Hauptfokus die Körperwahrnehmung ist und das damit einhergehende Wohlbefinden. Eine Form von Flow voller Hingabe und Kopfabschalten. Ist das Improvisation?

Ich merke es gibt hier zwei verschiedene Weisen der Improvisation. Mein Hauptinteresse in diesem Schreiben liegt eigentlich darin das Wesen einer bestimmten ‘performativen’ Improvisation zu ergründen, die jedoch nicht an das Performen an sich gebunden ist. Etwas, das mich in Tänzen klar und frei fühlen lässt. Doch schiebt sich erstmal meine Erfahrung einer improvisatorischen Grundhaltung in den Vordergrund, die von viel allgemeinerer Bedeutung ist als diese irgendwie ans Zuschauen gebundene Weise des Improvisierens. Dazu ein paar Gedanken:

Ich wünsche mir für Körperarbeit eine improvisatorische Grundhaltung, aber auch im sehr technischen Arbeiten in der Contact Improvisation, ja selbst wenn ich Bewegungssequenzen wiederhole, was ja als Inbegriff des nicht-Improvisierten gilt. Es mag einen Plan geben, wo die Reise hingeht. Die konkreten Entscheidungen werden jedoch im Moment getroffen und spielen sich im Detail und im Dialog ab unter bestmöglicher Anerkennung der augenblicklichen Situation. “Weiss ich, wo ich in zwei Sekunden sein werde?” ist eine Frage, die mir überprüfen hilft, ob ich ehrliche Entscheidungen auf der Grundlage des realen Augenblicks treffe. Oder befinde ich mich mit meiner Aufmerksamkeit schon in der Zukunft und schenke dem realen Geschehen nicht mehr wirklich Beachtung? Diese Form von Improvisation hat eher etwas mit einer Lebenshaltung zu tun. Es ist eine Form von Präsenz, einem Dasein im so oft beschworenen Hier & Jetzt. ‘Having the choice and making decisions’ ist eine Kurzdefinition von Improvisation, die ich manchmal benutze. Dabei ist Achtsamkeit die zugrunde liegende Haltung, welche es mir erlaubt die Komplexität des Hier & Jetzt wahrzunehmen und anzuerkennen.

Ich glaube, dass diese Form von improvisatorischer Haltung keine selbstgenügsame ist. Der selbstvergessene Flow, wo nichts geplant ist, wo alles wie von alleine in bestmöglicher Weise einfach geschieht, im perfekten Dialog, wo alles bejaht ist und nichts den Fluss des Geschehens stört … diesen Flow würde ich nicht als Improvisation bezeichnen. Es fehlt ihm die Achtsamkeit, die Bewusstheit für den Moment und die Möglichkeit jederzeit andere Entscheidungen zu treffen. Improvisation hat für mich mit einem großen Maß an Bewusstheit und Entscheidungswillen zu tun.

Die andere Weise der Improvisation gründet sich in meinen Erfahrungen Improvisation als Bühnenkunst zu verwirklichen. Dies ist nun nicht mehr mein vorrangiges Interesse, aber es gibt etwas in dieser performativen Haltung, das mir auch für Tänze in einer CI Jam erfrischende Möglichkeiten erschliesst. Es ist etwas, dass mich aus den zweier-Contact-Blasen befreit, die so oft das Geschehen in einer Jam prägen und einengen.

Ich suche dieses Etwas zu benennen – das, was das nicht-geplante Tun so wach und gestalterisch macht. Ich habe es wohl über Bühnenimprovisationen kennengelernt, nehme die Bühne jedoch mittlerweile als einen äußerst ungünstigen Ort wahr, dieses sehr lebendige Etwas zu finden und zu entwickeln. All der Druck – die eigene Erwartungshaltung und die des Publikums – verhindern so oft den Zugang zu der improvisatorischen Grundhaltung, die auch hier der Ausgangspunkt sein sollte. Die Angst vorm Scheitern ist oftmals die lautere innere Stimme als das Vertrauen darauf, das der jetzige Moment alles Wesentliche enthält.

Ich merke, dass es selbst in Studiosituationen zu zweit, wo es keinen Zuschauenden gibt und ich auch nichts für die Bühne produzieren will, dieses Etwas gibt, diese von der Bühne geliehene Präsenz in einem zutiefst positiven Sinne. Es ist ein gestalterischer Prozess, der keinen außenstehenden Betrachter braucht und auch kein vorzeigbares Ergebnis. Ich denke an Dancedates, die ich mit meiner hochgeschätzten Kollegin Christine Mauch in unregelmässigen Abständen habe. Wir treffen uns in einem Studio für 90-120 Minuten zum Tanzen, was immer das genau heißen mag. Viel Raum nimmt das ‘Eintunen’ ein, das Geplätscher begrüßender Worte, Mitteilenswertes, das wohl aus dem Bedürfnis entspringt anzuerkennen wo ich selbst bin und die andere gerade ist. Die Worte hören irgendwann auf und den Körpern im Dialog gehört das Feld der Begegnung und der wechselseitigen Inspiration. Contact Improvisation ist ein wesentlicher Teil unserer gemeinsamen Sprache und irgendwie immer gegenwärtig. Die Grundhaltung ist vom Wunsch geprägt einander zu begegnen, welche Form auch immer das im jeweiligen Augenblick annehmen mag. Es gibt nichts zu tun oder zu leisten, nichts zu präsentieren. Vielleicht nähren uns Fragestellungen, Neugierden oder spezifische Bedürfnisse nach Bewegung. Meistens gelangen wir früher oder später oder auch wiederholt in Situationen, in denen äußerlich nichts zu geschehen scheint. Es sind oft sehr wesentliche Momente der Improvisation. Ein Besinnen oder Ankommen für jeden selbst und auch miteinander. Das scheinbare Nicht-Geschehen ist getragen von einer großen Wachheit für Veränderungen, ohne auf diese zu drängen. Es ist ein bewusstes andocken an das eigene Timing, was latent mit dem Timing des Partners abgeglichen wird.

Es gibt keine Bewegungslosigkeit. Lebende Körper bewegen sich. Das Herz schlägt, der Atem kommt und geht, die Organe tun zum Teil hörbar ihre Arbeit. Die ruhende Katze bewegt ihre Ohren oder ihr Schweif regt sich ab und zu. Solche eher willkürliche Bewegungen können Auftakt zu einem sichtbaren Tanz werden, jeder Moment hat das Potential dazu. In der Ruhe sind die Atempausen nach der Ausatmung oftmals der genussvollste Moment. Es ist möglich diesen Moment im eigenen Atem zu belauschen, ihn wahrzunehmen und anteilnehmend mitzuerleben, wie der nächste Einatemzug beginnt. Diese Freiheit des Geschehenlassens zusammen mit dem sehr bewussten Erleben hat in meiner Wahrnehmung etwas Gestalterisches. Ich könnte willentlich in das Geschehen eingreifen, es beschleunigen oder verlangsamen. Ich entscheide mich es nicht zu tun. Ich befinde mich in einer sehr gelassenen Spannung. Ich beobachte das Geschehen – bin in ihm – und bin möglicherweise im nächsten Moment gewillt es zu verändern. Ich selbst bin Akteur und anteilnehmender Betrachter in einem. Ich freue mich über Entscheidungen oder nehme sie mit Erstaunen oder Verwunderung zur Kenntnis. Oder ich nehme sie als Anlass zur Richtungsänderung, einer kleinen Provokation mit ungewissem Ausgang.

Hierin finde ich vielleicht mit am klarsten den Kern, der mir vor Jahren in der Arbeit an Bühnenimprovisationen begegnet ist. Im anteilnehmenden Betrachten der Situation, dem wachen Geschehen Lassen mit geleichzeitiger Bereitschaft ohne zu zögern einem Impuls zu folgen – oder ihn verstreichen zu lassen.

Das am Beispiel mit Christine beschriebene, nach außen hin fast unsichtbare Geschehen erscheint mir dem Wesen der Improvisation so viel näher zu sein als das vielleicht auch virtuose selbstgenügsame Eintauchen in den Tanz, die Hingabe in den puren Bewegungsfluss.

Ich klinge möglicherweise etwas wertend. Das ist gar nicht meine Absicht. Die Hingabe in den Moment, das Eintauchen, Abtauchen und Verlorengehen im bewegten Geschehen ist oftmals eine zutiefst wundervolle Erfahrung. Möglicherweise auch mit endorphinen Belohnungen. Es ist gut und wichtig, dass es Räume für solche Erfahrungen gibt. Aber es genügt in meinem erfahrungsgeborenen Vokabular nicht dem Begriff der ‘Improvisation’.

Hm, das mag merkwürdige Rückschlüsse zur Contact Improvisation nahelegen. Wenn die Jam der zentrale Ort ist Contact Improvisation zu praktizieren und meine Defintion von Improvisation wesentlicher Teil dieser Form wäre, dann würden viele Jams anders aussehen oder einen anderen Namen benötigen. In vielen Begegnungen auf einer Jam liegt eine Betonung auf der körperlichen Wahrnehmung mit Ausrichtung auf das eigene Wohlsein: Wohlfühlmassagen in Bewegung, Flirt gerne inbegriffen. Der Dialog kann sehr lebendig sein, die Erfahrung ebenso. Das gestalterische Moment der Improvisation spielt dann oft keine entscheidende Rolle. Wohlfühlmassagen in Bewegung kippen leicht ins private. Eine Jam aber ist kein privater Ort.

Contact Improvisation kann auf der anderen Seite Gefahr laufen sehr technisch exekutiert zu werden. Es weht ein Hauch oder Wind von richtig und falsch, von minderer oder höherer Wertigkeit – je nach Schwierigkeitsgrad, Form und Präzision in der Ausführung. Genutzt und gesucht werden vor allem vertraute Wege und Formen oder es wird die Herausforderung in den Vordergrund gestellt. Wille und Ehrgeiz sind dabei oft stärker als die Achtsamkeit für den Moment mit seinen vielfältigeren Möglichkeiten. Es ist leicht dabei Opfer der Pflichterfüllung zu werden – man kennt die Form, man weiss ja wie es geht… Ich schreibe dies mit einem verschmitzen Lächeln, da präzise Conatct Technik ja zu meinem Aushängeschild geworden ist. Aber präzise Technik sollte die Wachheit für die feinen, auch unscheinbaren oder ungewöhnlichen Möglichkeiten schulen.

Ich sehe eine Jam potentiell als einen künstlerischen Organismus, zugleich gestaltender Akteur und sich selber Zuschauer – und vergänglich, wie es der Tanz eben ist.

Das ist wohl der Kern, den ich in diesem Schreiben gefunden habe: Ich begreife Contact Improvisation vor allem deswegen als Improvisation, weil es eine Tanzform ist, die den Moment gestaltet. Ich bin wohl ein Fan von bewusstem Wahrnehmen und Entscheiden in einem Feld, wo Hingabe und Geschehen lassen von zentraler und heilsamer Bedeutung sind.

Geht’s auch griffiger?

Ich habe den Text nachträglich nach Begriffen durchsucht, die mir bei der Beschreibung meiner Haltung von Improvisation von Bedeutung zu sein schienen. Das sind sie – eine schöne Sammlung finde ich:

Gestalterischer Prozess

Anerkennen was ist

Der Wunsch einander zu begegnen

Wechselseitige Inspiration

Es gibt nichts zu tun

Fragestellungen, Neugierden

Sich Besinnen/ Ankommen

Wachheit für Veränderungen

Bedürfnis nach Bewegung

Anteilnehmendes Betrachten

Freiheit des Geschehen lassens

Gelassene Spannung