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Fragen eines Autodidakten

Ist mein selbst errungenes Wissen verallgemeinerbar?

Mit welcher Lernhaltung ist man bei mir gut aufgehoben?

Inspirationen und Fragen durch den Besuch einer Schule für Alexandertechnik

Ich habe mich lange Zeit und immer wieder danach gesehnt meinen Meister zu finden. Jemanden, dessen Art und Arbeit ich so schätze, dass ich da gerne in die Lehre gehen würde. Es ist nie passiert. Stattdessen nahm ich vereinzelte Workshops. Bei den meisterlichen hatte ich anschliessend Informationen, die mich für gute zwei Jahre am forschen hielten. Was ich am Ende gelernt habe mag wiederum nicht das gewesen sein, was in dem Workshop vermittelt wurde. Es scheint Teil meines Wesens zu sein, dass ich mit guten Fragen meist mehr anfangen kann als mit guten Antworten.

Ich hatte auch immer mal wieder die Sehnsucht in ein fundiertes System eingeführt zu werden, um den Körper in Bewegung besser verstehen und analysieren zu können. Diese großartigen Lehrer, die jemanden nur kurz gehen sehen und dann bei all den detaillierten Beobachtungen auch noch erkennen, was bei dieser Person der Kern einer ungesunden Haltung ist und dann auch noch zu sehen, wo man ‘therapeutisch’ am ehesten ansetzen könnte. Gerade war ich zu Gast in einer Alexandertechnik Schule. Tagein tagaus praktizieren der ‘Meister’, seine Assistenten, einige ehemalige Schüler und die Auszubildenden in den ersten beiden Stunden des Tages immer wieder die gleichen Bewegungen und Arten der Einflussnahme über sehr feinsinnige Berührung. Sie treffen sich und ‘machen’ einfach. Keine Anleitung. Es ist eher wie eine Jam. Nach drei Jahren des immer gleichen begrenzten Repertoires haben die Schüler eine recht gute Ahnung um was es geht. Welche Demut, welche Ausdauer, welch Tiefe! Wenn jemand 40 Jahre seines Lebens damit verbringt, wird er vermutlich relativ schnell fundierte Aussagen über meine unerkannten Bewegungseinschränkungen treffen können. Dazu noch im Austausch mit einer weltweiten Gemeinschaft, die mit den gleichen Prinzipien und Grundannahmen arbeitet. Ich vermute, dass darin ein hohes Mass an verallgemeinerbaren Erkenntnissen entsteht mit ebensolchem Wissen über die potentiellen individuellen Unterschiede.

Es ist nicht mein Weg und immer mal wieder bedaure ich das, wie an diesem Morgen in der Schule für Alexandertechnik. Mein Weg geht zuallererst durch meinen Körper. Ich wohne in diesem Körper, der so viele erstaunliche Dinge tut, die mich begeistern, der mich fragen lässt, was dieser Körper da eigentlich tut. Ich bewege mich, ich tanze, nehme mal einen Workshop und nehme wahr, was sich gut anfühlt, was effizient ist und wo es hakt. Das versuche ich zu verstehen. Mit Schreiben, Experimentieren, Unterrichten, enger werdendem Fokus und wieder loslassen. Was ich irgendwann benennen kann ist das, was in meinem Körper gut funktioniert. Gut funktionieren beinhaltet bei mir immer irgendeine Form von Genuss. Über die Jahre habe auch ich so eine Art System entwickelt, wie mein Körper sich am funktionellsten organisiert.

Im Unbewussten schlummert die Haltung, dass das, was ich gefunden habe, für alle Körper gilt. Natürlich weiss ich, was für ein Unsinn das ist und doch falle ich immer mal wieder auf diesen Irrtum herein. Vor allem beim Unterrichten muss ich erkennen, wo andere Körper anders empfinden, andere Präferenzen und Einschränkungen haben Das schmerzt mich ein bisschen. Was genau? Das ich nicht einfach recht habe und sagen kann, was Sinn macht und was nicht? Ein verletztes Ego? – ich hoffe nicht so oft. Häufiger tut es mir weh, dass ich nicht in der Lage bin zu vermitteln, was ich als so bereichernd empfinde? Mal aus Unfähigkeit im Unterrichten, mal aber auch tatsächlich, weil andere Menschen anders sind und in meinem Angebot nicht so aufgehen können wie ich selbst. Es schmerzt mich also, dass andere Menschen anders sind… interessant. Es sind dann aber auch oft genau diese Momente, wo ich etwas neu und besser verstehe oder genauer zu unterscheiden lerne oder wo ich neue Ideen entwickele.

Da mein Unterrichten ein wesentlicher Teil meiner Bewegungsforschung darstellt, frage ich mich immer wieder, wie ich meine gereiften und zum Teil frischen Erkenntnisse zur Verfügung stelle. Ich mag ein Wechselspiel von klaren Aussagen mit einer weicheren Grundhaltung im Hintergrund. Wenn ich Sachen sage wie ‘das Brustbein darf sinken’, meine ich das als Angebot dies auszuprobieren, diese Richtung gerne mal mit spielerischer Leichtigkeit als Wahrheit anzunehmen um die Kontraktionen des Zweifels zu sänftigen, aber dabei meine Weisheiten nicht als in Stein gemeißelte allgemeine Wahrheit zu verbrauchen. Im Hintergrund mag ich Fragen lebendig sehen, wie ‘Macht das Sinn, dass das Brustbein sinkt, selbst wenn ich mich nach hinten überstrecke?’

Ja, ich bedaure immer mal wieder, dass ich kein so verallgemeinerbares und abgesichertes System vermitteln kann wie z.B. ein Feldenkraislehrer. Was ich unterrichte hat keine Instanz hinter mir. Wenn ich es nicht glaubwürdig repräsentiere durch meinen Körper hat es keine wirkliche Relevanz. Das nötigt meinem Wissen eine gewisse Tiefe ab. Ich sage die wesentlichen Dinge nicht so einfach daher. Sie sind viele, viele Male im Dialog durch meinen Körper und Geist gegangen. Ich kann ehrlich sagen ‘in meinem Körper funktioniert das super’ und ich kann es mit meinem Körper auch zeigen. Es ist mehr als eine fixe Idee.

Wäre ich mein Schüler stelle ich mir gerne die Lernhaltung vor: „Oh ja, das scheint Sinn zu machen! Mal sehen, ob mein Körper und Geist ähnlich genug gestrickt sind diese Ausrichtungen oder Bewegungen zu übernehmen. Oder wie müsste ich das Gesagte abwandeln, damit es für mich Sinn macht?“

Ich habe die Hoffnung, dass es auch ein gewisses Geschenk ist, wenn die Verallgemeinerbarkeit meines Wissens noch nicht über viele Versuche bestätigt ist. Ein Schüler hat dann die Forschungsaufgabe das Gelehrte auf seine Verallgemeinerbarkeit hin zu überprüfen. Die Frage bleibt wichtiger als meine Antwort. Und das Beste: Es gibt ganz offensichtlich auch die Möglichkeit herauszufinden, dass es noch besser geht.

Und ich? Ich suche so vor mich dahin. Ich frage mich immer mal wieder bedauernd, warum ich nicht mal eine Schule richtig gemacht habe. Es scheint mir innezuwohnen, dass ich gerne Dinge selber herausfinden mag. Ich passe damit ja auch gut in den Geist der Contact Improvisation, diese Bewegungskunst, die kein Copyright verpasst bekommen hat, sondern sich ohne Kontrollinstanz weiterentwickeln konnte und musste.

Richtung: Festes System versus labben

Was heisst das für mich?

– ich kann nicht den meister fragen. Was ich unterrichte hat keine Instanz hinter mir. Wenn ich es nicht glaubwürdig repräsentiere durch meinen Körper hat es keine wirkliche Relevanz. Alles ist im Fluss. Mein eigenes Lernen ist Teil meiner Arbeit.

Was heisst das für meine Studenten?

Schlussfrage:

Oder ist es mit den Schulen, die auf einen Erfinder zurückgehen ähnlich wie im Christentum, wo alle dasselbe Glaubensbekenntnis sprechen aber es komplett unterschiedlich interpretieren? Scheinbar vereint… und so suchen sie doch alle für sich dahin.

Ich habe z.B. recht lange Achillessehen und tue mich leicht in der tiefen Hocke zu sitzen. Dies ist wesentlicher Teil meiner Technik effizient den Übergang vom Boden zum Stehen und andersherum zu finden. Menschen mit kürzeren Achillessehen können diesen Teil meiner Technik nicht wirklich übernehmen.

Das scheint in den langjährig entwickelten Bewegungslehren wie Alexandertechnik, Feldenkrais, Kleintechnik oder uralten Kampfkünsten anders zu sein. Die Richtungen, oder sagen wir Intentionen von Ausrichtungen, die in der Alexandertechnik genutzt werden, gelten (wie ich es verstehe) für den menschlichen Körper an sich. Und jeder Mensch kann seine individuelle Adaption davon finden. Wie in der Alexandertechnik benutze auch ich gewisse Richtungen, wie z.B. ‘Brustbein sinkt, Kreuzbein sinkt, Wirbelsäule steigt, Knie nach vorne…’

Ich bin manchmal fast wahnsinnig geworden mit diesen Richtungen, die sich von Technik zu Technik zu unterscheiden scheinen. Wie soll man da jemals ‘richtig’ stehen können, wenn alle was anderes sagen? Oder wie die Füsse positioniert sein sollen im Stehen. Ich hatte Zeiten, wo ich mich so jämmerlich verloren fühlte. Kleintechniker wissen, wie man steht, Alexandertechniker auch, Feldenkraisler, Eutonie-Praktizierende .. alle wissen es und ich schwimme verloren im Meer der widersprüchlichen Weisheiten umher und ertrinke in diesem Wirrwarr an Wissen.

Zur Zeit habe ich meine Richtungen ziemlich klar. Sie haben sich durch gewisse Fehlhaltungen meines Körpers relativ eindeutig klären lassen.

Da ein Grossteil meiner Praxis mein Unterrichten ist, und mein Unterrichten ein wesentlicher Teil meiner Bewegungsforschung darstellt, frage ich mich immer wieder, wie ich meine gereiften und zum Teil frischen Erkenntnisse zur Verfügung stelle. Ich mag ein Wechselspiel von klaren Aussagen mit einer weicheren Grundhaltung im Hintergrund. Wenn ich Sachen sage wie ‘das Brustbein darf sinken’, meine ich das als Angebot dies auszuprobieren, diese Richtung gerne mal mit spielerischer Leichtigkeit als Wahrheit anzunehmen um die Kontraktionen des Zweifels zu sänftigen, aber dabei meine Weisheiten nicht als in Stein gemeißelte allgemeine Wahrheit zu verbrauchen. Im Hintergrund mag ich Fragen lebendig sehen, wie ‘macht das Sinn, dass das Brustbein sinkt, selbst wenn ich mich nach hinten überstrecke?’

Was ich an meiner Unterrichtshaltung schätze ist, dass mein Wissen eine gewisse Tiefe hat. Ich sage die wesentlichen Dinge nicht so einfach daher. Sie sind viele, viele male im Dialog durch meinen Körper und Geist gegangen. Ich kann ehrlich sagen ‘in meinem Körper funktioniert das super’ und ich kann es mit meinem Körper auch zeigen. Es ist mehr als eine fixe Idee. Als mein Student stelle ich mir die Haltung vor: „Oh ja, das scheint Sinn zu machen! Mal sehen, ob mein Körper und Geist ähnlich genug gestrickt sind diese Richtung zu übernehmen. Oder wie müsste ich das Gesagte abwandeln, damit es für mich Sinn macht?“

Ich habe die Hoffnung, dass es auch ein besonderes Geschenk ist, wenn die Verallgemeinerbarkeit eines Systems nicht über viel Versuche bestätigt ist. Als Student habe ich die Forschungsaufgabe das Gelehrte auf seine Verallgemeinerbarkeit hin zu überprüfen. Die Frage bleibt wichtiger als meine Antwort.

Tja, das gilt auch für mich. ‘Ich habe meine Ausrichtungen zur Zeit ziemlich klar’ schrieb ich anfangs. Aber: Kompensieren diese Richtungen nur meine Fehlhaltung? Und wenn sie einmal korrigiert sind, brauche ich dann neue Richtungen?