Irgendetwas ist anders, es passt – fast, aber nicht so ganz … naja, nicht so wild, geht ja trotzdem.

Bei meinem letzten Workshop habe ich das Anerkennen von Irritationen als einen Schlüssel für lebendige Räume erkannt. Es sind feine Momente, undramatisch und es scheint nicht wirklich wert groß Aufhebens drum zu machen. Aber in diesen Momenten entscheidet sich Richtung und Qualität von gemeinsamen gelebten Situationen.

Irritationen stellen bewährte Handlungsmuster in Frage. Damit sind sie Wegbereiter für neue, zur Bewältigung der Situation bessere Strategien. Die übliche Gefahr liegt wohl darin eine Irritation nicht wahr- bzw. ernstzunehmen. Ignoranz, Bequemlichkeit oder Angst sind vermutlich die üblichen Motivationen Irritationen nicht zu würdigen und damit Lebendigkeit zu minimieren. ‘Erfolg verhindert Lernen’ ist eine erfrischende These aus einem Vortrag von G. Hüther. Was sich bewährt hat wird wiederholt und lädt dazu ein nicht mehr nach Alternativen zu suchen bzw. Irritation zu übergehen.

Grosse Worte. Folgendes hat mich zu ihnen geführt: Tanja Striezel und ich, die wir den erwähnten Workshop zusammen unterrichteten, hatten ein etwas eigenwilliges Konzept: Ein Workshop von Samstag bis Montag, wo Teilnehmer auch nur das Wochenende buchen konnten. Der Montag war ein Brückentag vor einem Feiertag, und würde es vielen Teilnehmern ermöglichen einen Tag länger am Workshop teilzunehmen. So dachten wir. Von 23 Leuten hatten sich aber nur ca. 12 Leute für diese Variante entschieden. Nach einem hochgradig befriedigendem Wochenende waren dann am Montag Morgen nur Tanja, ich und 6 Teilnehmer da.

Eine merkwürdige Situation. Wir hatten Ideen, was wir machen wollten und das Material war nach wie vor stimmig. Eine innere Stimme flüsterte ‘Bisschen schade, aber nicht so schlimm. Geht auch so. Machen wir das beste draus. Los geht’s.’

Ich bin sehr dankbar, dass wir dieser Stimme nicht gefolgt sind. Ich war irritiert. Irgendwie passt alles nicht so richtig. So hatte ich mir die Situation nicht vorgestellt. Die Räumlichkeiten, waren vertraut, Menschen und Arbeitshaltung auch. Es fühlte sich nur alles sehr anders an. Es gelang mir recht schnell die Herausforderungen der Situation zu erkennen. Wir hatten tolle Arbeit gemacht. Viele erfüllte Menschen. Nun war der Raum derselbe wie vorher, gefüllt mit Erlebnissen, aber eben von und mit Menschen, die nicht mehr da waren. Wir waren der klägliche Rest einer tollen, sich unterstützenden, bewegten Gruppe – eines größeren Abenteuers, das irgendwo schon zu Ende war. Wir hätten die Situation schlicht benennen und mit dem Arbeiten anfangen können. Problem erkannt, Problem gebannt.

Wir hätten das Schiff sicherlich geschaukelt, solide Arbeit abgeliefert, alles im grünen Bereich. Aber ich hätte mich erschöpft und wäre danach unzufrieden gewesen. Zum Glück hatten wir den klaren Drang die Veränderung ‘fühlen’ zu wollen: Wie ist das jetzt? Wir 6+2 Leute sind also das neue WIR in diesem großen vertrauten Raum des 23+2 alten WIR.

Es geht nicht darum emotional zu bewerten, z.B. in die Enttäuschung hineinzufallen, dass wir nur noch so wenige sind und die fantastische Dynamik von vorher gebrochen ist. Anerkennen und Benennen solcher Gefühlsregungen scheint mir notwendig. Aber es bedarf der Aktivität, die möglichen positiven Veränderungen ebenfalls zu benennen, wie: ‘Jetzt ist mehr Raum für jede einzelne Person im Gehört-werden, auch für individuelles Feedback …’

Die Aufgabe der Lehrenden ist es Raum zu geben, diese neue Situation bewusst erlebbar zu machen ohne sie zu problematisieren. Erahnen, was es dazu braucht, was ich dazu brauche und wann es genug damit ist. Das war unsere Hauptarbeit dieses bereichernden Tages und damit die Weichenstellung für alles, was kommen wollte. Und es lief alles ganz leicht und inspiriert.

Konkret hatten wir uns zusammen gesetzt und informell geplaudert. Träume, Einblicke in frisch Gelesenes, Gedanken zu den letzten Tagen. Der Text mit der Phrase ‘Erfolg verhindert Lernen’ wurde von einer Teilnehmerin begeistert geteilt. Einige dehnten sich beiläufig. Alle kamen irgendwann zu Wort. Es hatte ein wohltuendes Mass an Beiläufigkeit in diesem persönlichen miteinander sein.

Letztendlich sind wir dem ersten Impuls gefolgt: ‘Bisschen schade, aber nicht so schlimm. Geht auch so. Machen wir das beste draus. Los geht’s.’ Nur das ‘Los geht’s’ hatten wir rausgelassen. Und stattdessen Zeit und Raum gegeben mit der augenblicklichen Situation wirklich in Kontakt zu kommen. Präsent zu werden. ‘Mit dem arbeiten, was ist und nicht mit dem, was sein sollte’ war schon ein Leitspruch für Tanja und mich in diesem Workshop gewesen. Und hier tauchte er unverhofft in großer Klarheit auf.

Mit dieser für mich recht intensiven Erfahrung im Umgang mit Irritationen begann ich andere vertraute Situationen neu zu beleuchten oder besser zu verstehen – Irritationen in Gestalt von Langer Weile, Mühsal, Unbehagen oder leichtem Stress. Es sind Momente, wo scheinbar klar ist, was jetzt zu passieren hat. Ein kurzes Innehalten mit der Frage, ‘Muss es wirklich so sein?’ reicht manchmal schon, um alternative Gedanken aufsteigen zu lassen. Ein paar Beispiele:

Das Unkomfortable von Workshop Anfängen

In letzter Zeit liebe ich den Beginn von Workshops. Es liegt etwas Unkomfortables in der Luft. Zum einen die Hoffnungen und Wünsche, die jede Einzelne zu diesem Workshop getrieben haben. Direkt vermischt mit Bedenken und Sorgen, dass es auch ganz anders kommen kann. Mit diesen Menschen werde ich die nächsten Tage auf Gedeih und Verderb zusammen sein. Wen kenn ich? Wen nicht? Wen mag ich? Wer ist mir unsympathisch? Werde ich einen Weg in meinen Körper und meine Neugierde finden. Meinen Platz in der Gruppe? Was wenn nicht?

In der Contact Improvisation behaupten wir oft das Neue zu suchen. Jetzt, zu Workshop Beginn, haben wir ganz viel davon. So ambivalent fühlt sich das Neue üblicherweise an. Was ich daran mag ist es mir all diese Gefühlsregungen in mir anzuschauen. ‘Becoming my own witness’ würde man auf englisch wohl sagen. Es ist eine Mischung aus genauem Hinsehen mit einer spürigen Note, ohne aber im Fühlen zu versinken. Als Lehrer gebe ich gerne Anregungen zur Beschäftigung mit dem eigenen Körper – Bewegen und Wahrnehmen. Dann scheint es mir leichter die Gefühlsregungen eher beiläufig mitzubekommen und zu sehen, wie sie sich ständig verändern. Es ist ein fragiles Geschehen, wo wir mit der eigenen Verletzlichkeit in Kontakt sind. In diesen Workshop-Rahmen haben wir die Chance nicht in die Härte zu fallen, die ‘alles ist easy’-Maske aufzusetzen, die uns vom momentanen Geschehen fernhält. Hier tobt das Leben, hier sind wir menschlich, hier können wir daran arbeiten uns für das Unbekannte zu öffnen als Grundvoraussetzung für’s Wachsen und Lernen.

Partnerwahl

Ein anderer Klassiker ist der vertraut-banale Satz ‘Sucht euch einen Partner’. Diese Situation ist für Workshop-Gänger so normal und so vertraut, dass die ganzen Dramen, die plötzlich im Raum auftauchen so gut wie unsichtbar bleiben. ‘Ist halt so.’ schwebt oberflächlich im Raum während es untendrunter verzweifelt, hysterisch oder kämpferisch flüstert ‘Oh je! Jetzt geht’s um’s Ganze!’

Wie viel Energie hat sich vor diesem Satz ‘Sucht euch einen Partner!’ schon zusammengebraut? Was für Gefühlsfetzen irren da durch den Raum? Traumata aus der Schulzeit liegen blank. ‘Keiner will mit mir machen! Bloß nicht mit dem da! Warum machen die beiden immer zusammen? …’ Alle wünschen sich jemanden mit dem oder mit der es sich gut arbeiten lässt. Vielleicht sind noch ein paar extra Gedanken mit im Spiel.

Was ist meine Strategie? Stelle ich mich schon rechtzeitig neben eine Person, mit der ich gerne arbeiten will? Warte ich, bis ich übrig bleibe und hoffe dann mit dem Lehrer arbeiten zu können? Stecke ich den Kopf in den Sand und bete, das mir das Schicksal einen guten Kandidaten vor die Nase spült?

Ich mag es diese komplizierte und herausfordernde Situation in leichtfüssiger Weise zu benennen. Und dazu einzuladen bewusst mit den eigenen Strategien zu spielen. Als allgemeine Haltung wünsche ich mir Grosszügigkeit: beruhend auf dem Vertrauen, dass ich mit jeder Person etwas lernen kann, wenn es auch vielleicht nicht dass ist, was ich mit der vorgeschlagenen Übung verbunden habe.

Körperarbeit, die in den Tanz führt

Ich habe dieses ‘sinking feeling’ schon bei dem Gedanken an Körperarbeit, die in den Tanz führen soll. Es braucht immer viel Zeit, um eine innige Verbindung aufzubauen, die den Übergang in den Tanz überlebt. Das ist ein recht intensiver Prozess. Eine ziemliche Reise liegt hinter mir, wenn der daraus entstandene Tanz vorbei ist. Und dann heisst es ‘So, nun wechselt die Rollen!’. Oh je, das ganze nochmal. Muss eben sein, es soll ja gerecht zugehen.

Aber das ist natürlich ein Irrglaube. Energetisch sind wir nach einer solch intensiven Phase komplett woanders als zu Beginn der ersten Körperarbeit. Eine Wiederholung ist per se unmöglich.

Kurz mal innehalten Herr Lehrer. Es braucht einen Bruch.

Ich mag die Frage: ‘Wie könnte diese Übung noch gewinnbringender sein?’ Ein Partneraustausch dazu kann neue Perspektiven eröffnen. Häufig kündige ich schon während des Tanzens an, dass die Folgerunde mit einem anderen Partner geschehen wird. Es gibt also nur einen Tanz mit der jetzigen Partnerin. Meistens hat der Einstieg über Körperarbeit einen spezifischen Fokus und bereitet einige technische Contact Elemente vor. Vor dem Rollen- oder Partnerwechsel gebe ich deshalb gerne konkretes Material zum Ausprobieren, was einen erfrischenden Wechsel der Arbeitshaltung bewirkt. Nach einer solchen eher Labor-artigen Phase macht es dann oft Sinn wieder ins Subtile und in die Begegnung zu investieren, wie es die Körperarbeit nahelegt. Das geübte Material kann dann im späteren Tanz integriert werden.

Sackgassen im Tanz

Ein Tanz kann im Bewegungsfluss zugrunde gehen. Der gemeinsame Fluss ist eine wünschenswerte Basis für einen Tanz, aber er legt nahe das Immergleiche zu reproduzieren. Eine vage Langeweile meldet sich, obwohl doch eigentlich alles so ist, wie es sein sollte. Der übliche Bewegungsfluss folgt den neuronalen Autobahnen. Die vertrauten Wege werden intuitiv gesucht. Wir folgen dem ersten Impuls. Was so spontan und frisch klingt, zementiert vor allem das alt Vertraute. Der Autopilot tanzt gemütlich vor sich hin. Die Verbindung die wir finden ist tendentiell austauschbar, das sichtbare Produkt allgemein bekannt. Ist ne Möglichkeit und nicht immer die Schlechteste.

Mich treibt es irgendwann in die Suche nach Sackgassen. Mit einigem Aufwand versuche ich den Tanz in Situationen zu manövrieren, wo wir stecken bleiben, wo es kein offensichtliches ‘Weiter so’ mehr gibt. Nun sind wir gezwungen gemeinsam nach einem Ausweg zu suchen. In diesem Moment entscheidet sich oft die Qualität eines Tanzes oder einer Begegnung. Zerschneiden wir einfach den Knoten und tun so als wäre nichts gewesen? Springen, rutschen oder ruckeln wir zur nächsten vertrauten Position? Oder nehmen wir uns Zeit diese Irritation wahrzunehmen? Verlangsamen. Ein geduldiges Probieren wird möglich: Vielleicht nach hier, oder doch nach da, oder …?

In diesem gezwungenermaßen feinen Dialog wird offensichtlich, dass es nicht nur Autobahnen gibt, sondern auch Nebenstraßen, Feldwege und manchmal nur den Weg durch’s Unterholz. Und diese ‘Abwege’ stehen jederzeit offen, nicht nur wenn wir uns hoffnungslos verfahren haben. Es ist eine bestimmte Kunst, nicht immer dem ersten Impuls zu folgen, ohne darüber in bemüht, kreatives Schaffen zu verfallen…

Es ist mir ein echtes Geschenk, wenn es mir gelingt Irritationen nicht als lästige Abweichung vom geliebt Gewohnten zu erleben sondern als Chance zu mehr Frische und Lebendigkeit. Und dazu gibt der Alltag ausserhalb des Tanzes grandiose Möglichkeiten.

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